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21.4.2023

 

Die Jury des 59. Grimme-Preises hat entschieden: Drehbuchautor Magnus Vattrodt freut sich mit dem gesamten team über die renommierte Auszeichnung für DIE WANNSEEKONFERENZ in der Kategorie Fiktion. Insgesamt waren 69 Produktionen/Einzelleistungen aus mehr als 780 Einreichungen nominiert. Die Verleihung fand am 21. April 2023 im Theater der Stadt Marl statt.

Vattrodt-grimme-2023.jpgFoto:Freie Lizenz/Wikipedia

Die Bgründung der Jury: 

Der Film folgt sprachlich genau dem Protokoll und entfaltet so den ganzen Horror der „Endlösung der Judenfrage“. An langen Tischen, die im Hufeisen angeordnet sind, sitzen die Teilnehmer und besprechen den Massenmord. Die bürokratischen Begriffe – die Rede ist etwa von „Sonderbehandlung“, von „Endlösungsräumen“ oder von „Umvolkung“ – maskieren den geplanten Massenmord und zeigen gerade dadurch besonders die Unmenschlichkeit dieses Vorgangs. Auch die Zahlen demonstrieren die Ungeheuerlichkeit. So wird am Beispiel des Massakers von Babyn Jar ermittelt, wie viele Menschen pro Tag erschossen werden könnten. Die wenigen privaten Gespräche wirken dagegen fast wie eine Provokation, weil beispielsweise die Nachfrage zum Nachwuchs seltsam unangebracht erscheint. Der Film setzt auf die Einheit von Ort, Zeit und Handlung und bleibt während der Wannseekonferenz vornehmlich im Sitzungszimmer der Villa: Den Zuschauenden wird keine noch so kurze Fluchtmöglichkeit in „entspannende“ Bilder, Kostüm und Ausstattung ermöglicht, denn auch wenn sich die kurze Gelegenheit bietet, über die Schnittchen oder den Wannsee zu schauen, wird der Schauplatz in entsättigten Farben gezeigt. Der bewusste Verzicht auf Musik unterstützt auf auditiver Ebene die nüchterne Atmosphäre.

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Foto: 3Sat/Grimme Institut

Durch die formale Strenge ist der Film ästhetisch so trocken wie das zugrundeliegende Protokoll. Dass dieses formale Experiment gelingt, ist eine große und großartige Leistung des gesamten Teams. Matti Geschonneck (Regie) inszeniert die Trockenheit und bürokratische Atmosphäre der Wannseekonferenz ohne Verstaubtheit und macht sie ästhetisch erfahrbar. Die klugen Dialoge von Paul Mommertz und Magnus Vattrodt (Buch) transformieren die historischen Figuren zu fein ausdifferenzierten Persönlichkeiten, die mit all ihren Hoffarten, Geltungsbedürfnissen, kleinlichen Verdruckstheiten und bürokratischen Kompetenzstreitigkeiten zu normalen Menschen werden – ganz im Sinne von Hannah Arendts Diktum der „Banalität des Bösen“. Damit schafft es der Film, die Monstrosität der Ereignisse ohne Monster zu zeigen. Verkörpert werden die Bürokraten der „Endlösung“ von einem herausragenden Schauspielerensemble, in dem jeder Einzelne die Ästhetik der Trockenheit nuancenreich umsetzt.

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Foto: ZDF/Julia Terjung

Verschiedene Figuren äußern Bedenken zur „Endlösung“, die moralischen Bedenken werden jedoch nur in Bezug auf die deutschen Soldaten geäußert. Hier spielt der Film mit der Erwartung der Zuschauenden, dass das gefühlte Unbehagen doch wenigstens von einer moralischen Figur geteilt werden müsste – wider des historischen Wissens. Mit dem Einsatz von Gas zur Ermordung jüdischer Menschen wird eine effektive Art des Massenmordes eingeführt, die als humane Lösung für deutsche Soldaten bei der schweren Aufgabe präsentiert wird.

Wie nebenbei werden die Strukturen des NS-Regimes und die Arbeitsweisen aller Beteiligten seziert: Akteure, die den Führerwillen interpretieren; Hitler, der keine definitiven Entscheidungen trifft und damit Kompetenzstreitigkeiten befördert, sodass sich alle Beteiligten in ständiger Konkurrenz und Überbietungslogik zueinander befinden.

Der von Constantin Television und dem ZDF produzierte Film erhielt im vergangenen Jahr zahlreiche Preise, unter anderem den Deutschen Fernsehpreis in der Kategorie "Bester Fernsehfilm" und "Bestes Buch", die Gold World Medal bei den New York Festivals in der Kategorie "Films/Feature Films" und den Prix Europa als Bester Europäischer Spielfilm 2022.

Der Film ist in der Mediathek des ZDFs zu finden.