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7.6.2023

von Martin Ritzenhoff
 
Am vergangenen Samstag ist mein Freund und Co-Autor Xaõ verstorben. Natürlich viel zu früh, mit 67 Jahren, aber ich kann ja nicht schreiben, wie traurig ich bin und wie sehr er fehlen wird. Lieber staune ich darüber, was für ein erfülltes Leben Xaõ hatte, denn das hätte für drei gereicht.
 
Er war ein Unikum, und das lag nicht nur an seinem Grazer Dialekt. Xaõ war nicht nur Drehbuchautor, er war soviel mehr. Als er 1977, mit Anfang 20, aus Graz nach Düsseldorf kam, wurde er zu einem wichtigen Kopf der aufkommenden deutschen Punkszene. Er war DJ im Ratinger Hof (seine Lederjacke hing 20 Jahre später in der Ausstellung „Zurück zum Beton“ in der Düsseldorfer Kunsthalle), Gitarrist, Schlagzeuger und Komponist diverser Bands und Einzelprojekte (u. a. Family 5). Er war Performancekünstler und schrieb als Journalist u. a. für „Sounds“, den „Überblick“ und „Spex“. Er nahm Platten auf, moderierte den „Musik Convoy“ des WDR, ging auf Tourneen; nebenbei fuhr er Motorrad und bastelte leidenschaftlich an Autos herum, spielte Fußball auf den Rheinwiesen und in der Bunten Liga, ging zu Fortuna Düsseldorf, fing an, für Film und Fernsehen zu schreiben; schauspielerte („O.R.A.V.“,„Kismet“) und probierte sich als Kurzfilm-Regisseur.
 
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Ich lernte Xaõ vor etwa 25 Jahren bei einer Filmstiftungsparty im Düsseldorfer Hafen kennen. Wir wohnten nur hundert Meter voneinander entfernt, freundeten uns an und schrieben manchmal zusammen. Bei „Spur meiner Tochter“, einem Götz George-Thriller, half ich aus. Später schrieben wir ein Drehbuch über die Punkzeit, „Helden für einen Tag“, das 2005 als Jugendtheaterstück am Düsseldorfer Schauspielhaus uraufgeführt wurde.
Xaõ heiratete die großartige Gerlind und zog nach 23 Jahren Düsseldorf nach Köln. Er kaufte ein Haus in Italien und baute es um, lernte Italienisch, verantwortete für den VDD die Verbandszeitschrift „Script“, unterrichtete Drehbuch und Dramaturgie, eröffnete eine Kunst-Galerie in seinem Büro, machte immer noch Musik, wurde Vater, schrieb Hörspiele und Drehbücher (mit mir u. a. den Kinofilm „Die Kleinen und die Bösen“), engagierte sich für „Kontrakt 18“ und produzierte noch vor vier Jahren mit seiner Frau Gerlind einen 90minütigen No Budget-Film („Postings“). Einfach mal so, zwischendurch, und wahrscheinlich habe ich hier noch die Hälfte vergessen, was er sonst noch so machte, immer mit vollem Körpereinsatz. Wo er die Kraft hernahm? Ich weiß es nicht. Langweilig war ihm jedenfalls nie.
 
Vergessen zu erwähnen habe ich, wie gebildet Xaõ war. Er wusste Erstaunliches über Gott und die Welt und die Literatur, über klassische Musik und Wein sowieso. Man konnte über Fußball und Film reden, über Politik, Geschichte und Religion (er wurde zeitweilig als Zeuge Jehovas erzogen). Er kochte gerne, und mir fällt jetzt gerade nicht viel ein, für was er sich nicht interessierte. Eine Meinung und Haltung hatte er sowieso zu allem, und, klar, Xaõ war auch laut. Er hatte aus seiner Punkzeit eine ziemlich große Fresse und war für einen Autor erstaunlich extrovertiert und gut streitbar (legendär seine Auftritte auf dem Fußballplatz). Xaõ war nicht bei jedem beliebt, und das wollte er auch nicht, aber Eindruck hinterließ er immer. Wie auch nicht, mit dem Temperament und dieser Chuzpe.
 
Nicht zuletzt war Xaõ aber ein treuer, charmanter, humorvoller Freund für mich und so viele. Er war Vater eines tollen Sohnes und liebender Ehemann. Er war der grantigste Fan, den Fortuna Düsseldorf jemals haben wird. Zweieinhalb Jahre hat er gegen die verschissene Krankheit mit K gekämpft und dabei unverdrossen sein Leben weitergeführt. Bis zuletzt hat er weitergeschrieben (noch vor zwei Wochen sprachen wir über ein alternatives Ende unseres aktuellen Kino-Stoffes) und über neue Geschichten nachgedacht. Nur wenige sollten wissen, wie schlecht es ihm ging.
 
Auf seiner Beerdigung sollen wir uns einen auf ihn zwitschern, hat er mir mitgegeben. Was werde ich ihn vermissen, dieses Original!
Das Leben erfindet eben doch die besten Charaktere. Sich selber hätte auch er sich nicht ausdenken können.
 
Ruhe in Frieden, mein lieber Xaõ!