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Der Mythos von Medea gehört zu den bekanntesten Geschichten der antiken Tragödie: Die Frau, die ihre Heimat zurückgelassen hat, um einem fremden Mann zu folgen. Die Frau, die in ihrer ersehnten neuen Heimat als Barbarin beschimpft und des Landes verwiesen wurde. Die Frau, die ihre Kinder tötete.

Medeas Geschichte ist durchsetzt von Heimatsuche und Heimatlosigkeit. Wohin sie auch kommt - Medeas Geschichte ist durchsetzt von Heimatsuche und Heimatlosigkeit. Wohin sie auch kommt - allerorten bleibt sie die Fremde, Ausgeschlossene, gar Ausgestoßene. In jeder neuen, fremden Kultur fühlt sie sich ihrer Wurzeln beraubt. "Weil eine Fremd' ich bin, aus fernem Land / Und unbekannt mit dieses Bodens Bräuchen, / Verachten sie mich, sehn auf mich herab, / Und eine scheue Wilde bin ich ihnen, / Die Unterste, die Letzte aller Menschen, / Die ich die Erste war in meiner Heimat." So klagt sie bei Franz Grillparzer. Ihr Mann Jason, der ihre Flucht einst ausgelöst hatte, kaum angekommen in der neuen Heimat, der Tochter von König Kreon zu und lässt Medea im Stich. Für die ihr entgegnete Abweisung und Ausgrenzung rächt diese sich grausam - und tötet ihre beiden Söhne.

Medeas Kinder tragen als Söhne einer mythischen Urgestalt im Diskurs um Entwurzelung, Rassismus und Identitätssuche ein besonderes Erbe in sich. Ausgehend vom antiken Vorbild befragt Stephan Seidel, regisseur und in der Spielzeit 2011/12 Hausautor am Staatstheater Mainz, für sein Theaterprojekt Migranten aus Mainz und entwickelt einen Text basierend auf Gesprächen und Interviews: Hätten Medeas Kinder das jahrelange Suchen ihrer Eltern zu einem Ziel führen und eine neue Heimat finden können? Oder hätte man sie abgeschoben, die doch keine "Schuld" trifft, außer in eine fremde, subkulturelle Familie hineingeboren worden zu sein? Die Kinder und Enkel einstiger Einwanderer können heute die „Medea“-Geschichte mit ihren Erlebnissen weitererzählen. Fühlen sie sich in der neuen Heimat angekommen? Erfahren sie gesellschaftliche Akzeptanz oder werden sie zerrieben zwischen Anpassung und Identitätssuche?

Was wäre also, wenn Medea ihre Kinder nicht getötet hätte, und diese ihre von Fremdheitserfahrungen geprägte Geschichte hätten weitererzählen können?

Autor

Stephan Seidel

  • Geboren 1983 in Halle an der Saale.
  • Literatur- und Philosophiestudium in Potsdam und Berlin.
  • Seit 2004 Theater-/ Autor- und Regiearbeiten an div. nationalen und internationalen Theatern - ...