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Dass ihnen ihre Lehrbücher nicht viel helfen werden, den Stationsalltag mit ihren 55 Patienten zu bewältigen, haben die jungen "Interns" schnell gelernt; und auch, dass eine falsche Verordnung tatsächlich verhängnisvolle Folgen nach sich ziehen kann. Dennoch sind sie schockiert, als ihnen Dickie erläutert, dass die wichtigste Kunst auf der "Inneren" die der Abschiebung ist: in die Psychiatrie, in die Orthopädie, in die Urologie, in die Neurochirurgie ... Denn wie lautet die Regel Nr. 1 im "House of God"? "Gomers sterben nie." Doch dann ist es der gleiche zynisch scherzende Dickie, der einspringt, als Roy, schweißgebadet, mit seiner ersten Lumbalpunktion scheitert, der gleiche Dickie, der mit der Spinalnadel auf Anhieb den Rückenmarkskanal trifft. Und auch als Jo, eine überzeugte Anhängerin des diagnostischen Fortschritts und der Apparatemedizin die Anleitung der "Interns" übernimmt und Roy sehen muss, wie sich der Zustand der 95-jährigen, altersdementen Anna nach all den ihm im Namen des ärztlichen Hilfegebots aufgetragenen Untersuchungen zusehends verschlechtert, gewinnt Dickie, der sich doch anscheinend nur für den von ihm erfundenen und hoffentlich weltweit vermarktbaren "Analspiegel" interessiert, an Autorität: Dickie und sein Rat, alles sein zu lassen und lieber die Akten mit imaginären Ergebnissen zu frisieren. Während Amerika vom Watergate-Skandal in Atem gehalten wird, haben sich die "Interns" im "House of God" soweit in ihre neuen Aufgaben hineingefunden, dass die Kliniksleitung beschließt, ihre Fähigkeiten nunmehr mit den "harten Fällen" auf die Probe zu stellen. Im November und Dezember hat Roy in der chirurgischen Notaufnahme Dienst. Anfangs ist er noch stolz, wenn es ihm gelingt, den Herzstillstand eines eben eingelieferten Infarkts in den Griff zu kriegen: ein Menschenleben zu retten. Aber dann geht ihm nur noch alles über seine Kräfte, die Notfälle, die Abschiebungen, das Strandgut der Nacht. Zwar hält Berry zu ihm, als er ihr sein Fremdgehen beichtet. Doch dann, auf der Station Nord-4, hat er es nur noch mit "Gomers" zu tun, den schlimmsten im "House". Und als dann auch noch Potts, der sich für den Tod einer Patientin verantwortlich fühlt, aus dem Fenster springt, scheint Dr. Roy Basch, 30 Jahre alt, ein hoffnungsvoller "Intern", endgültig auf dem Tiefpunkt angekommen zu sein. Doch das letzte Quartal jenes ersten Jahres als Arzt darf Roy im "Zock-Flügel" Dienst tun, dem Flügel der Reichen: hundert Computer, acht Betten und kein "Gomer" weit und breit. Sein Oberarzt Dr. Pinkus ist Kardiologe und schwört auf Hobbys. Hat Roy endlich seinen Meister gefunden? Ungerührt macht er seinen Job, eisig und unangreifbar geht er, der Liebling der Kliniksleitung, durch die kleinen und großen Katastrophen auf der Intensivstation. Seine Abwehr funktioniert perfekt: "Der Patient ist der derjenige, der krank ist." Berry erkennt ihn nicht wieder, aber sie gibt ihn auch diesmal nicht auf. Und auch Dickie gibt ihn nicht auf. Ohne sie hätte er es vermutlich nicht geschafft, sich für eine Facharztausbildung in Psychiatrie zu entscheiden und damit die in ihn gesetzten Erwartungen massiv zu enttäuschen. Das "House of God" hat seine Macht über ihn verloren. Hörspiel des Monats September 2002 - Begründung der Jury der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste: So hatte sich Roy Basch das nicht vorgestellt, als er zur Facharztausbildung an das renommierte Institut "House of God" kommt. Schon der für ihn zuständige "Resident" Dr. Dickie Jung scheint ein gefährlicher Irrer zu sein, dessen einziges Interesse es ist, hilfsbedürftige Kranke als nervtötende "Gomers" (ein Akronym für "Get out of my Emergency Room" - "Raus aus meiner Notaufnahme") von seiner Station abzuschieben - notfalls mit Gewalt. Denn für Dickie Jung ist keine Versorgung die beste Versorgung. Es gibt nur eines, was für die altersdementen Patienten schlimmer wäre als von Dickie Jung nicht behandelt zu werden, nämlich von übereifrigen Ärzten zu Tode therapiert zu werden. Der Praxisschock, d.h. die Konfrontation mit echtem Leid und Tod, sowie den gedankenlos-menschenverachtenden Praktiken des House of God, macht aus Roy Basch beinahe den Zyniker, den Dickie Jung nur vorspielt. Als Satire auf das amerikanische Gesundheitswesen hat sich der Roman "House of God" von Samuel Shem (das ist im wahren Leben der Psychiater Dr. Stephen Bergman) auch unter deutschen Medizinern zum Kultbuch entwickelt. Regisseur Norbert Schaeffer hat den actionreichen Bestsellerroman in die Hörspielform übertragen, ohne auf eine Erzählerfigur zurückgreifen zu müssen, und stürzt den Hörer mit seiner rasanten Inszenierung in ein Wechselbad der Gefühle. Dabei wahrt er gekonnt die typisch angelsächsische Balance von Komik und Tragik, vergnüglicher Unterhaltung und intelligenter Kritik, die ihren Reiz vor dem Hintergrund einer fast surrealen Klinik-Atmosphäre entfaltet. Der einzige Halt für die in ihrer Ambivalenz glaubwürdig gezeichneten Figuren ist der Sarkasmus der Jungschen Gesetze des House of God - dessen viertes lautet: "Der Patient ist derjenige, der krank ist."

Autor

Norbert Schaeffer

  • Studierte Germanistik, Soziologie und Politikwissenschaft an der Universität des Saarlandes
  • Ausbildung zum Rundfunkjournalisten beim Saarländischen Rundfunk
  • Von 1983 bis 2005 ...