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14.6.2016

Lutz Hübner hat den mit 5.000 Euro dotierten Preis der Autoren 2016 erhalten.

Seine Dankesrede (die Laudatio können Sie hier lesen):

Ich wurde gebeten, über meine Arbeit zu sprechen und diese Aufgabe hat sich in der Vorbereitung als schwieriger erwiesen als ich gedacht hätte. Es fällt mir leicht, über konkrete Stücke und ihre Genese zu sprechen, über Themen, Methoden und Arbeitsbedingungen. Aber ein übergreifendes ästhetisches oder inhaltliches Anliegen zu formulieren erscheint mir als Ding der Unmöglichkeit.

Nein, das ist übertrieben. Es ist einfach nur kompliziert. Das mag einerseits an einer angeborenen Theorieschwäche liegen, aber auch daran, dass man als Theaterautor immer bemüht ist, andere für sich sprechen zu lassen -je widersprüchlicher desto besser. Ein Autoren Ich, dass in diese bevölkerte Arena tritt und seine eigentlichen Ansichten und Beweggründe heraus posaunt, erscheint da indezent. Theater lebt von Konflikt und Dialektik. Nur im Wechselbad widersprüchlicher Standpunkte und Interessen wird ein Stück spannend und diese so nachvollziehbar wie möglich zu gestalten, ist die Aufgabe des Dramatikers. Und dieses Einerseits-Andererseits verinnerlicht man irgendwann.

Was nicht bedeutet, dass man als Autor keinen Standpunkt hat, im Gegenteil. Aber, wie Theodor Lessing sagte “Die Moral versteht sich von selbst“. Die Aufgabe des Theaterautoren ist es, eine Konstellation, eine Struktur zu schaffen, die dem Zuschauer ermöglicht, seine eigenen moralischen Kategorien zu überprüfen und ohne Belehrung und Einflüsterungen eine Haltung zu beziehen. Der Dramatiker muss noch so abseitige Weltanschauungen nachvollziehbar gestalten können und auch die größten Irrtümer und Idiotien seiner Figuren verständlich machen, ohne sie der Lächerlichkeit preiszugeben. Hans Joachim Friedrichs sagte einmal, ein guter Journalist dürfe sich mit keiner Sache gemein machen, auch nicht mit einer guten – das gilt erst recht für den Dramatiker. Es ist ein Denken und Gestalten in Widersprüchen, es bedeutet Meinungen erst zu akzeptieren, wenn man auch die Gegenmeinung glaubhaft vertreten kann. Proteus am Computer. Formuliere ich damit schon ein Arbeitsansatz? Eher eine Vorbedingung, um sich überhaupt auf das windige Feld der Dramatik zu begeben. Aber was bestimmt die konkrete Arbeit?

Ich will das anhand von zehn Begriffen verdeutlichen, die ich unverbunden nebeneinanderstelle. Das hat den Vorteil, dass ich keine geschlossene Poetik formulieren muss und gibt Ihnen die Möglichkeit, im Falle massiver Langeweile, abzählen zu können, wie lange ich noch spreche.

1 HANDWERK

Ein Begriff, der im deutschen Feuilleton einen Hautgout hat. Ein Handwerker genannt zu werden bedeutet im Reich der Edelfedern, dass man kein Künstler ist, keiner, der aus der reinen, ungefilterten Inspiration erschafft, sondern mit dem Bleistift hinter dem Ohr eiskalt Wirkungen kalkuliert. Das ist natürlich blühender Unsinn. Schreiben ist ein Handwerk, das erlernt werden muss, darüber hinaus es gibt Bühnengesetze, die man kennen sollte und eine Ökonomie des Geschichtenerzählens. Man muss dem Schauspieler Material liefern - Futter, wie man am Theater sagt. Man muss die unterschiedlichsten formalen Ansätze beherrschen, um den zu finden, der dem Plot am angemessensten ist. Erst die handwerkliche Sicherheit gibt dem Autor die Freiheit, bei der Abfassung des Textes seiner Inspiration folgen zu können und – falls die Geschichte das verlangt – diese Regeln auch einmal komplett über Bord zu werfen.

2 GESCHICHTE

Ein großes Thema macht noch kein großes Theater und ein großes Thema ohne eine Geschichte, die dieses Thema tragen und ertragen kann, taugt nichts. Man muss klein anfangen, im Alltag, mit den Erfahrungen der Menschen, die im Zuschauerraum sitzen, dann langsam vergrößern, komprimieren, nach dem größeren Bogen suchen, ihn behutsam spannen, aber nicht überspannen, Situationen ausreizen, sparsam mit Motiven umgehen und nur solche wählen, die man miteinander vernetzen kann und die für die ganze Geschichte wichtig sind, nicht nur für Momente, in denen man eine neue Farbe braucht. Man muss den traurigen, brutalen, peinlichen, existenziellen – und damit oft auch komischen- Konflikten ihren Raum geben, damit sie sich nicht gegenseitig neutralisieren.

„Viel hilft viel“ funktioniert  weder beim Kochen noch auf der Bühne. Nie ein Stück schreiben über die debile Tochter, die vom alkoholkranken Vater schwanger ist, während die Leiche der Mutter im Keller liegt. Apokalypsen sind wohlfeil. Es gibt genug Ängste, Sehnsüchte, Horror, Wut und verbotene Wünsche im Alltag eines jeden Menschen. Hinter den kleinen Fragen schimmern am Horizont die großen auf - wenn man präzise arbeitet. Auf die richtige Mischung achten. Nur die Regler hochziehen, die den Sound klarer und plastischer machen, nie alles auf Anschlag. Das Zusammenspiel leiser Instrumente mit nur einem Paukenschlag ist interessanter als ein durchgängig dröhnender Cluster.

3 WÜRDE

Was mich, neben ihren Widersprüchen, an Menschen – und damit an Bühnenfiguren  -interessiert, ist, wie sie um ihre Würde kämpfen. Oder wie sie Würde erlangen wollen, Anerkennung für ihr Sein und Handeln. Der Kampf um Selbstachtung, der Wunsch, sich noch im Spiegel betrachten zu können, ohne schamrot zu werden. Der Stolz auf den überwundenen Schweinehund. Der verzweifelte Versuch, die eigene Feigheit, Unaufrichtigkeit oder Inkonsequenz vor sich selbst und anderen schön zu reden, zu relativieren oder umzudeuten. Nicht die monströse Tat ist wichtig, sondern was sie mit der Seele des Opfers oder des Täters macht, wie er daran zerbricht, wächst oder welche Veränderungen das auslöst. Würde ist fragil, unabhängig von Status oder Machtfragen. Die Wut des Täters, der dem Opfer das Leben, aber nicht die Würde nehmen kann und damit seinen Triumph zunichtemacht…

4 UNTERHALTUNG

Neben Handwerk das zweiter Pfuiwort des deutschen Feuilletons. Humor wird nur akzeptiert, wenn einem „das Lachen im Halse stecken bleibt“, eine ungemein beliebte Formulierung deutscher Theaterkritiker. Komödien gelten als Kulturgut minderer Handelsgüte. Pain ist the real thing. Dabei ist die Konstruktion einer Komödie mindestens genauso anspruchsvoll wie die einer Tragödie. „Tiefe ist einfach, die Oberfläche ist die Kunst“  hat Oscar Wilde einmal gesagt. Wobei Oberfläche in diesem Fall einer Erklärung bedarf. Eine gute Komödie funktioniert nur, wenn  man daraus auch problemlos eine Tragödie hätte machen können, die Komik wurzelt in der tragischen Möglichkeit des Stoffes.

Und selbst eine Tragödie muss unterhalten, in dem Sinne, dass das Stück ein Angebot formuliert, welches der Zuschauer annehmen kann. Unterhaltung ist die freiwillige Entscheidung, einer fremden Phantasie zu folgen. Man kann ein Publikum nicht zwingen, sich zu unterhalten, man kann es höchstens terrorisieren. Ich persönlich glaube nicht an ein Theater der Einschüchterung und des Vorwurfs. Wir sind keine Pestprediger, sondern Verführer, sei es zu befreiendem Lachen oder kathartischer Erschütterung.

5 TEAM

Theater entsteht im Team, im Dialog, im gemeinsamen Ausprobieren, Zuhören, Kritik aushalten, Neudenken und Verwerfen. Jedes meiner Stücke entsteht in Zusammenarbeit mit meiner Co-Autorin Sarah Nemitz, den Dramaturgen denen wir Vertrauen schenken, dem feedback unseres wunderbaren Verlages, den Regisseuren, die wir so früh wie möglich in die Arbeit einbeziehen (wie z. B. Anselm Weber, mit dem wir seit langen Jahren zusammenarbeiten) und den Meinungen und Ideen der Schauspieler…das einsame Originalgenie im Elfenbeinturm ist eine fixe Idee der Romantik. Stücke zu schreiben bedeutet zu kommunizieren, durchlässig zu sein und alles in sich aufzusaugen, was dazu dient, den Stoff mit Leben zu erfüllen.

6 RELEVANZ

Dem Theater, und damit den Dramatikern, wird immer wieder vorgeworfen, dass es an gesellschaftlicher Relevanz verloren hätte. Das ist ebenso falsch wie niederträchtig, denn Theater wirkt auf den Einzelnen, den ein Theaterstück berührt oder völlig kalt lässt. Abgesehen von Beaumarchais‘ „Tollem Tag“ hat noch kein Theaterstück eine Revolution unmittelbar befördert. Das Theater ist kein Leitartikel, keine Kommentarleiste und kein Coaching Seminar. Es braucht Geschichten, die von gesellschaftlichen Bedingtheiten und der aktuellen Conditio humana durchtränkt sind, weil auch der Autor von dieser Gesellschaft geprägt ist. Aber die Aufgabe des Theaters ist immer die Verunsicherung des Sichergeglaubten, nicht die Parole, die Theorie oder die Affirmation.

7 PARTITUR

Ein Theaterstück ist ein Gebrauchsgegenstand, ein Rezept, eine Gebrauchsanweisung, ein Spickzettel und ein Materialblock. Die Komposition des Nichtgesagten verschlingt mindestens so viel Zeit wie die Niederschrift des zu Sagenden. Ein Theaterstück, das als stille Lektüre hervorragend funktioniert, ist meist falsch für die Bühne. Ein Theaterstück ist immer ein offenes, unvollendetes Kunstwerk. Es ist eine Partitur, die im Idealfall angereichert ist mit unendlichen Möglichkeiten, die vielleicht nie irgendeine Inszenierung erfassen wird. Die guten Stück enthalten Kassiber, von denen vielleicht nicht einmal der Autor etwas weiß und die nur auf der Bühne entschlüsselt werden können. Ein gutes Stück braucht ein dickes Fell: manche werden besser, wenn man die Hälfte streicht, andere zerbrechen, wenn man zwei wichtige Sätze herausnimmt. Ein Gedicht ist ein Gedicht ist ein Gedicht. Ein Theaterstück ist etwas, das sogar noch glänzen muss, wenn es unter die Räuber und Dilettanten fällt.

8 WIRKLICHKEIT

Ich werde oft dafür gelobt und noch öfter dafür beschimpft, dass Sarah Nemitz und ich den Alltag auf die Bühne bringen. Stücke aus der Wirklichkeit. Realistische Stoffe. Aber Theater ist immer Verdichtung, jede Bühnenrealität ist eine künstliche, jede Bühnensprache eine konstruierte. Wenn es einfach klingt, steckt am meisten Arbeit dahinter. Es gibt keine Authentizität auf der Bühne und das ist gut so. Das Authentische hat seine eigenen theatralischen Formate entwickelt, die manchmal großartige Ergebnisse liefern. Aber der Versuch, die Wirklichkeit der Straße eins zu eins auf die Wirklichkeit des Theaters prallen zu lassen führt oft dazu, dass man beiden nicht mehr folgen möchte. Die Bühne ist ein Kunstraum. Jede Wirklichkeit auf der Bühne ist Arrangement und damit künstlich –im Idealfall merkt man es einfach nicht.

9 KUNST

Immer für die Gegenwart schreiben, nie für die Ewigkeit. Keinen Gedanken daran verschwenden, ob etwas von dem, was man erfindet, bleiben wird. Immer den Ehrgeiz haben, ein Meisterwerk zu schreiben. Nie die Ambition haben, ein Kunstwerk zu erschaffen, etwas Bleibendes…das meiste verschwindet. Man muss ein rustikales Verhältnis zu seinem Werk  haben. Andere werden entscheiden, ob etwas Brauchbares dabei ist oder nicht. Der Science Fiction Autor Theodore Sturgeon wurde gefragt, warum 95 % aller Science Fiction Romane Schrott sind. Seine Antwort: 95% von allem ist Schrott. Also: versuchen wir einfach, keinen Schrott zu produzieren. Das ist Arbeit genug.

10 ANERKENNUNG

Die Lügen der Autoren: Ich lese keine Kritiken. Ich will das Theater erneuern. Ich bin nicht korrumpierbar durch Bewunderung und Beifall. Ich kenne keine Zweifel, weil ich eine klare Idee davon habe, was ich ausdrücken will. Und nicht zuletzt: Ich brauche keine Anerkennung. Natürlich braucht man das, natürlich freut man sich, wenn man einen Preis bekommt und wenn man ihn von Kollegen verliehen bekommt, ist das nochmal schöner. Es ist eine Ermutigung und ein gutes Tonikum gegen den Zweifel, der all unser Schaffen ständig grundiert.

Herzlichen Dank!            

© 2016, Lutz Hübner